05.06.2020: AfD nun auch bei uns? Eine Stellungnahme unseres Sprechers Uli Stüeken

06.06.2020 Hinweis: Die AFD hat jetzt kurzfristig ihre Versammlung ohne Begründung abgesagt. Unsere Stellungsnahme ist gleichwohl in der Sache aktuell.


Am Samstag will die AfD im Kreis Coesfeld ihre Listenwahlen abhalten. Ort ist die Aula des Clemens-Brentano-Gymnasiums in Dülmen. Vor der Schule soll ab 16.00 Uhr eine Demonstration für eine bunte offene Gesellschaft stattfinden!

Die „Alternative für Deutschland“ will nun zum ersten Mal auch im Kreis Coesfeld an der Kommunalwahl teilnehmen, Anlass, dieser Partei ein paar Gedanken zu widmen:

Die AfD reklamiert für sich, konservativ zu sein. Sie will angeblich eine Fehlentwicklung, oder, wenn man sie genau nimmt, unzählige Fehlentwicklungen auf allen Gebieten, zurückdrehen, um ein irgendwie ursprünglicheres Deutschland (wieder-)herzustellen, das in gewisser Weise mehr bei sich selbst sein soll, als das aktuelle.

Ich möchte diesen Gedanken auf zwei Arten weiterverfolgen. Was ist eigentlich konservativ, und warum ist die AfD es nicht? Und: Gibt es etwas, das Deutschlands „Wesen“ ausmacht?

Konservativ zu sein, also dem lateinischen Wortsinn nach „bewahrend“ ist eine sehr alte politische Position oder Strömung. Um sie in wenigen Worten ohne Wertung zu beschreiben, lässt sich sagen, dass der Konservative das, was ist, akzeptiert und den Rechtfertigungszwang auf der Seite des Neuen sieht. In seinen Augen funktionieren die Dinge so, wie sie sind, erst einmal gut genug, oder zumindest nicht so schlecht, das Neue dagegen muss sich erst beweisen.

Konservative sind darum nicht zwangsläufig Feinde der Innovation, aber sie bewerten das Neue nicht deswegen als positiv, weil es neu ist.
Interessant ist, dass sich der Inhalt des Konservatismus seit seinen Anfängen stets gewandelt hat. Galt im 19. Jh. noch das Ideal der Adels- und Fürstenherrschaft in deutschen Kleinstaaten als konservativ, so war es vor 100 Jahren die Kaisermonarchie in einem geeinten Deutschland, vor 50 Jahren dann die von bürgerlichen Tugendidealen geprägte Bundesrepublik.
Heute finden sich auch gerade in den Reihen der GRÜNEN Menschen, die sich als konservativ bezeichnen. Sie wollen ein Leben nah an der Natur, nah an ihrer Region führen und wollen ihre Heimat vor den Folgen von Klimakatastrophe und Umweltzerstörung bewahren.
Ist die AfD konservativ? Es ist unschwer zu erkennen, dass die AfD in diesem Sinne keine klassische konservative Position vertritt. Sie will nichts bewahren, sondern will, so suggeriert sie zumindest, zurück zu einer Gesellschaft, wie sie in der Bundesrepublik der 50er und frühen 60er bestanden haben könnte. Dass das damals vorherrschende Ideal bürgerlicher Tugenden und Umgangsformen die Sache der AfD nicht ist, kann man leicht den Kommentaren ihrer Mitglieder z.B. auf Facebook entnehmen, wo Beleidigung, versteckte und weniger versteckte Gewaltandrohung und latente Aggressivität den Stil prägen.

Die AfD scheint sich daran nicht zu stören, sie sieht sich als letzte Bewahrerin eines vermeintlich bedrohten Deutschland, das dabei sei, durch „Überfremdung“ sein Wesen zu verlieren. Das bringt mich zur zweiten Frage, gibt es etwas, das Deutschlands „Wesen“ ausmacht?
Wer ständig gegen vermeintliche Überfremdung wettert, jeden Multilateralismus und jede Kooperation mit anderen Staaten mindestens kritisiert, wenn nicht gar völlig ablehnt, der folgt offenbar einer Art Reinheitsideal, der Vorstellung, es könne einen Wesenskern unserer Nation geben, der bedroht und den zu retten man berufen sei.

Deutschland wird dabei offenbar nicht als Name eines historisch mehr oder weniger zufällig gewachsenen Gebildes verstanden und unser Land nicht als ein Ding, das sich über die Zeit formt und verändert, sondern Deutschland, das muss etwas sein, das unabhängig von der Zeit als ein eigenes Wesen existiert. Das wirft die Frage auf, wann dieses Wesen, dieses Deutschland entstanden sein soll. War es im 9. Jh., als die Bevölkerung Mitteleuropas ihre Sprache als „thiutisk“ von der des Adels und Klerus (Latein) abgrenzte? Dann wäre alles, was in den letzten 1000 Jahren geschehen ist, „Überfremdung“ gewesen. Oder Ist Deutschland erst 1871 mit Bismarcks Reichseinigung entstanden? Dann müsste die AfD einen karnevalstauglichen Pickelhaubenrevisionismus vertreten, was sie (bisher) nicht tut. Das Kaiserreich umfasste zudem Gebiete und Bevölkerungsgruppen, die eindeutig nicht deutsch waren.

Egal wie man es dreht, ein deutscher Wesenkern, der zu irgendeinem festen Zeitpunkt bestimmbar gewesen sein sollte, ist nicht auffindbar. Das einzige, was diese Leerstelle besetzen könnte, ist die Abkehr von Diktatur und Faschismus, die den Wesenskern unseres Grundgesetzes ausmachen, doch gerade die 12 Jahre Naziherrschaft würde die AfD lieber nicht so schwer gewichten. Die AfD jagt also einer Chimäre hinterher, sie bewahrt nichts, ihr Konservatismus ist reine Fassade.

Wofür steht sie dann? Deutlich wird zumindest, dass sie gegen Menschen und Bevölkerungsgruppen ist, die die AfD-Anhänger als Konkurrenz wahrnehmen, sei es im In- oder Ausland. Einig sind sich die meisten AfD-Stimmen auch in einer gewissen Neigung zum starken Staat, scheinbarer Zackigkeit, Law-and-Order, außer natürlich, es geht um die AfD selbst, dann sieht man sich gern als Opfer. Überhaupt scheint es die Opferattitüde zu sein, die sich wie ein roter Faden durch die Kommentare auf AfD-Seiten zieht. Man ist „Opfer“ des Staates, der zu wenig tut, des Staates, der zuviel tut, der Ausländer, der Amerikaner, der „Systemparteien“, der „Lügenpresse“ und so weiter.

Damit zielt die AfD in meinen Augen auf die Spaltung der Gesellschaft: Irgendwer hat dir schon irgendwas angetan, komm zu uns! scheint sie dem Wähler zuzurufen.

Wenn nun diese Partei bei den kommenden Wahlen im Kreis Coesfeld antritt, ist zu erwarten, dass sich der ganze Sermon auch über unseren Kreis ergießen wird. Ich wünsche uns, dass er sich nicht in die Gemüter frisst sondern an unserem Gemeinsinn abperlt.

Uli Stüeken für die Grünen Nordkirchen



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